Nachhaltigkeitsstrategie

Best-in-Class-Ansatz: Geniales Konzept oder Mogelpackung?

Best-in-class-Ansatz

Der Best-in-Class-Ansatz wird heutzutage bei den meisten nachhaltigen ETFs angewendet. Nichtsdestotrotz hält sich die Kritik, dass es sich dabei um eine wenig nachhaltige Schummelei handelt. Das sehe ich anders.

Der Best-in-Class-Ansatz beschreibt einen Auswahlprozess für nachhaltige ETFs bzw. Indizes, bei dem Unternehmen nur innerhalb ihres Industriesektors miteinander verglichen und aussortiert werden. Dadurch bleibt die ursprüngliche Sektorengewichtung des Elternindex erhalten. 

Leider gibt es viele Missverständnisse, wie das ganze in der Praxis umgesetzt wird. Lies in diesem Beitrag, warum du mit gutem Gewissen in einen ETF mit Best-in-Class-Ansatz investieren kannst.

So funktioniert das Best-in-Class-Prinzip

Best-in-class-Prinzip

Kann ein Stahlproduzent so umweltfreundlich sein wie ein Softwareunternehmen? Wenn man in entfernten Regionen Rohstoffe abbauen muss, diese energieaufwändig verarbeiten und weite Strecken transportieren muss, wird man einen größeren ökologischen Fußabdruck haben als eine Social Media Plattform.

Zwar wird Nachhaltigkeit über viele Faktoren gemessen, aber Umweltfreundlichkeit ist sicher ein entscheidender. Allerdings wir brauchen Stahl und andere Rohstoffe. Wie geht man also damit um?

Wenn man alle Unternehmen in einen Topf wirft und miteinander vergleicht, würden einige Sektoren ziemlich schlecht bei wegkommen.

Würde man eine einzige große Liste erstellen, in der Firmen nach ihrer Nachhaltigkeit sortiert werden und davon nur die besten 50% auswählen, würde das zu einer starken Verzerrung der Industriesektoren führen. Das ginge zu Lasten der Diversifikation, denn Diversifikation bedeutet nicht nur, möglichst viele Unternehmen im Portfolio zu haben, sondern über wichtige Faktoren wie Land, Region und Industrie gestreut zu sein.

Vergleich innerhalb der Sektoren

Hier kommt der Best-in-Class-Ansatz ins Spiel. Bei diesem Prinzip werden Unternehmen nur innerhalb ihres Sektors miteinander verglichen. Indizes wie z. B. der MSCI World ESG Leaders oder die SRI-Varianten werfen dann einen bestimmten Prozentsatz der Unternehmen aus dem Index (z. B. 50% oder 75%). Auf diese Weise wird von jedem Sektor die gleiche Menge an Unternehmen ausgeschlossen. Gerechnet wird übrigens nach Marktkapitalisierung und nicht nach Anzahl der Unternehmen.

Best-in-class-Ansatz - Sektoren

Im Ergebnis ist die Gewichtung der Sektoren in Elternindex und Nachhaltigkeitsindex in etwa gleich. Das bedeutet aber auch, dass ein Unternehmen aus einem schwächeren Sektor vielleicht schon mit einem mittelmäßigen ESG-Score in den Index kommt. Ein Unternehmen aus einem sehr nachhaltigen Sektor wäre mit dem gleichen Rating durchgefallen.

Dass das aber in der Realität halb so wild ist, bzw. sogar erwünscht, siehst du im nächsten Kapitel.

ESG-Kriterien

ESG steht für Environmental (Umwelt), Social (soziale Aspekte) und Corporate Governance (Unternehmensführung). Es handelt sich dabei um Kriterien, nach denen die Nachhaltigkeit von Unternehmen oder Ländern bewertet wird. Die Wertung ist in mehrere Duzend Unterkategorien aufgeteilt und wird am Ende zu einer Gesamtnote von AAA bis CCC zusammengefasst.

Kritik am Best-in-Class-Ansatz

Der Hauptkritikpunkt ist, dass es auf Grund des Auswahlprinzips echte Nachzügler ins Portfolio schaffen. Extrem formuliert ist der nachhaltigste Waffenproduzent immer noch ein Waffenproduzent. Gleiches gilt für Frackingunternehmen, Kohlekraftwerke oder Minenbetreiber.

Hier werden allerdings zwei entscheidende Dinge missverstanden:

  1. Es werden nicht einzelne Branchen betrachtet, sondern Sektoren, und die sind sehr groß.
  2. Es wird niemals nur der Best-in-Class-Ansatz angewendet sondern immer auch andere Filterkriterien.
So stellen sich Kritiker einen Best-in-Class-Index vor:
Best-in-class-Ansatz - Missverständnis

Gängiges Missverständnis: Einteilung nach Branchen

Die Unternehmen in grün und türkis sind die besten 50% ihres Sektors und schaffen es in diesem Beispiel in den Index. Das bedeutet allerdings, dass türkisfarbene Unternehmen mit unterdurchschnittlichem ESG-Rating aufgenommen werden. Und das nur, weil sie in ihrem Sektor zu den besseren zählen.

Das ist die Realität des Best-in-Class-Ansatzes:
Best-in-class-Ansatz - Realität

Einteilung nach Sektoren plus zusätzliche Ausschlussfilter

In Wahrheit ist gibt es bei nachhaltigen Indizes wie dem MSCI World ESG Leaders ein Mindestranking, das teilweise sehr hoch liegen kann (z. B. „A“ bei den SRI-Varianten). Das sorgt dafür, dass sich keine Unternehmen mit schlechten Nachhaltigkeitswerten in den Index schummeln können, nur weil ihre Konkurrenz genau so wenig darauf achtet.

Der größte Irrglaube ist allerdings, dass einzelne Branchen separat betrachtet werden. Da besteht angeblich die Gefahr, dass sich die nachhaltigsten Vertreter aus Waffen-, Tabak- und Ölbranche im Portfolio verstecken. Das ist natürlich Quatsch. Es werden wie gesagt nur Sektoren betrachtet.

Davon mal abgesehen, dass besonders kontroverse Branchen wie Waffenproduzenten oder Tabakkonzerne sowieso bei den meisten nachhaltigen ETFs per se ausgeschlossen sind.

Welche Sektoren unterscheidet der Best-in-Class-Ansatz?

Ich muss zugeben, anfangs war mir nicht klar, was mit „Sektoren“ überhaupt gemeint ist. Deshalb habe ich recherchiert und bei den Indexanbietern nachgefragt.

Bei MSCI werden die Sektoren nach dem sogenannten Global Industry Classification Standard (GICS) verwendet. Das sind die folgenden 11 Sektoren, die dir bestimmt schon mal in einem ETF-Factsheet über den Weg gelaufen sind:

  • IT
  • Gesundheitsversorgung
  • Financials
  • Zyklische Konsumgüter
  • Nichtzyklische Konsumgüter
  • Industrie
  • Kommunikation
  • Materialien
  • Versorger
  • Energie
  • Immobilien

Dass sich Ölfirmen in nachhaltigen ETFs mit Best-in-class-Ansatz befinden, liegt also nicht daran, dass von allen Ölfirmen die besten 25% oder 50% aufgenommen wurden. Ölkonzerne wie Total sind in einem ETF vertreten, weil sie im gesamten Energiesektor zu den Top 50% oder Top 25% gehören. Das Ölunternehmen Neste wurde 2020 sogar unter die Top3 der nachhaltigsten Unternehmen überhaupt gewählt.

Das Thema Energie ist halt komplex. Wir alle brauchen Energie, aber im Moment gibt es noch keine Methode, große Mengen Energie ohne negative Folgen für die Umwelt zu erzeugen. Wenn dir fossile Brennstoffe allerdings wirklich Bauchschmerzen bereiten, findest du in meinem Artikel ETFs ohne fossile Brennstoffe Möglichkeiten, wie du damit umgehen kannst

Alternative Sektoreneinteilung

Während MSCI in ihrer Index-Methodology angibt, dass sie das GICS-System verwenden (zugegeben etwas vergraben), musste ich bei Solactive erst nachfragen. (Sollte es irgendwo stehen und ich hab es nur übersehen, sorry!)

Nach Auskunft des sehr netten Kundenservice verwenden die Indizes von Solactive das Sektoren-Klassifizierungs-System von FactSet, auch genannt Revere Business Industry Classification System (RBICS).

Hier werden 12 Economies und insgesamt 32 Sektoren unterschieden. Die Economies entsprechen in etwa den GICS-Sektoren. Es werden also ebenfalls keine kleinen Branchen wie Tabak oder Waffen einzeln betrachtet.

Dass es diesbezüglich immer wieder Missverständnisse gibt, ist also leider der Informationspolitik der Anbieter geschuldet. Das gilt aber für aktiv gemanagte Nachhaltigkeitsfonds genauso wie für ETFs.

Vorteile des Best-in-Class-Ansatzes

Best-in-class-Ansatz Vorteile

Ich bin ein echter Fan des Best-in-Class-Prinzips. Dass die Gewichtung der Sektoren gleich bleibt, habe ich schon angesprochen. Aber mich begeistert ein anderer Vorteil.

Stell dir vor, dir gehört ein Ölkonzern und hast die Zeichen der Zeit erkannt. Du investierst große Summen in den Bereich erneuerbare Energien und modernisierst deine Erdgasinfrastruktur. Gasleitungen sind nämlich auch für Wasserstoff nutzbar. Erdgas könnte zukünftig aus grünem Strom erzeugt werden (Power-to-gas). Nötige Technologien wie die Methanisierung sind im Prinzip bereits vorhanden.

Leider ist dein Unternehmen immer noch ein Ölkonzern und das bedeutet, dass du ohne Best-in-class-Ansatz in kaum einem Nachhaltigkeitsindex vertreten wärst. Das wäre in der Vergangenheit vielleicht auch gerechtfertigt gewesen. Das Problem ist aber folgendes: Im Vergleich mit ALLEN Unternehmen aus ALLEN Sektoren wirst du es auch zukünftig schwer haben, in die Auswahl zu kommen. Das ist nicht wirklich motivierend.

Als Energie- und Rohstoffkonzern hat man wenig Anreiz, sich zu verbessern, wenn man sowieso nie in einen Nachhaltigkeitsindex aufgenommen wird.

Meiner Meinung nach ist es deshalb genau der richtige Ansatz, nur innerhalb eines Sektors zu vergleichen. Nur so kann man auch Unternehmen aus problematischeren Bereichen dazu bringen, sich zu verbessern.

Eines muss einem nämlich klar sein. Die Sektorengewichtung spiegelt in gewisser Weise unseren Bedarf an Produkten und Services wider. Wir brauchen Materialien, Energie und Rohstoffe genauso wie Software, Telekommunikation und den Finanzsektor.

Wie sollen wir in diesen Bereichen einen Einfluss mit unseren Investments haben, wenn wir sie gänzlich ausschließen? Und Einfluss haben nachhaltige Investments definitiv. Wer da Zweifel hat, kann sich gerne diesen Artikel durchlesen.

Es gibt natürlich Branchen wie die Kohleindustrie oder Frackingunternehmen, bei denen Hopfen und Malz verloren ist. Diese Branchen werden verschwinden, ob sie nun versuchen nachhaltiger zu werden oder nicht. Aber es gibt eben keine Sektoren, die verschwinden, das ist der wichtige Unterschied.

Fonds ohne Best-in-Class-Ansatz

Wenn ich dich trotz allem nicht vom Best-in-class-Ansatz überzeugen konnte, möchte ich dir hier ein paar Alternativen aufzeigen. Auch wenn das Prinzip bei den breit gestreuten ETFs gängig ist, heißt es nicht, dass man nicht drum herum kommt.

1. Themenfonds

Themen-ETFs wie der Global Clean Energy ETF von iShares funktionieren nach einem umgekehrten Prinzip. Man startet nicht bei tausenden von Unternehmen und sortiert die unerwünschten aus. Man wählt gezielt zwischen 30 bis 100 Unternehmen, die den Anforderungen entsprechen. Da fällt ein Best-in-class-Ansatz natürlich weg.

2. Breit gestreute ETFs

Einige breit gestreute ETFs verzichten auf eine Auswahl nach dem Best-in-class-Prinzip. Der MSCI World ESG Screened beschränkt sich z. B. lediglich darauf, sehr kontroverse Unternehmen aus dem Index auszuschließen (er enthält noch ca. 1500 Unternehmen). Andere Indizes wie der MSCI World ESG Enhanced Focus passen die Gewichtung der Unternehmen entsprechend ihres ESG-Ratings an und schließen sie nicht komplett aus.

3. Aktive Nachhaltigkeitsfonds

Hier kenne ich mich nur wenig aus, weil ich nun mal ETF-Investor bin. Aber es gibt definitv nachhaltigen Fonds, in denen die Unternehmen einzeln „per Hand“ ausgewählt werden, ohne dass ein Best-in-Class-Ansatz zum Einsatz kommt.

Fazit

Das Big Picture ist wichtig. Wie wird ein Best-in-class-Ansatz in eine Nachhaltigkeitsstrategie integriert. Werden zusätzliche Filter für Unternehmen eingesetzt, die du auf keinen Fall in deinem ETF sehen willst?

Es gilt wie immer, wer mit einem Investmentprodukt zufrieden sein möchte, kommt um ein bisschen Recherche nicht drum herum.

Wie auch immer du dich entscheidest. Ich bin jedenfalls ein Befürworter des Best-in-class-Prinzips. Was nützt es schon, 95% des Energiesektors auszuschließen, weil die meisten Unternehmen noch keinen lupenreinen Strom erzeugen, wenn dadurch Potential verschenkt wird, echte Anreize zu schaffen?

Nachhaltige Grüße

Nachhaltige Grüße
Christian Kontakt

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